FAZ Rhein-Main / Frankfurter Allgemeine Zeitung – Rhein-Main-Zeitung, Mo 18.11.2019
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Nr. 268; Seite 34 BlicknachBrasilien Das 32. Exground-Festival zeigt Filme aus aller Welt und trifft mit seinem Fokus wieder mitten ins Jetzt WIESBADEN. Es ist immer wieder erstaunlich, wenn das Exground Filmfest seinen Schwerpunkt präsentiert. Denn selbstredend bleiben zwar die seit Gründung dieses etwas anderen, 1990 erstmals veranstalteten Festivals die etablierten Klassiker wie die “American Independents”, der deutsche und der internationale Kurzfilmwettbewerb oder auch die “Youth Days” im Programm; gibt es unter den deutschen Beiträgen gerade wie in der internationalen Sektion zahlreiche Entdeckungen zu machen. Und die der verstorbenen Schauspielerin Hannelore Elsner gewidmete Hommage, die Urs Spörri für den Donnerstagabend (20 Uhr in der Krypta der Marktkirche) zusammengestellt hat, lohnt ohnehin schon ganz allein den Besuch. Zu den spannendsten Sektionen des Programms aber gehört seit Jahren schon die stets einem Filmland gewidmete Reihe “Fokus”, in deren Mittelpunkt bei der 32. Ausgabe von Exground nun Brasilien steht. Und wie schon bei früheren Länderschwerpunkten war auch bei der Entscheidung für Brasilien im Sommer des vergangenen Jahres nicht abzusehen, wie aktuell der “Fokus” sich gerade jetzt darstellen sollte. Dabei, so wurde schon zur Eröffnung von Exground deutlich, enthält sich das noch immer weitgehend ehrenamtlich organisierte, vom Land, der Stadt und dem Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main geförderte Festival dankenswerterweise der Folklore. Sicher, es gab Caipirinha, und bei der anschließenden Party im Wiesbadener Schlachthof legte DJ Mam aus Rio de Janeiro auf. Doch von Samba, Zuckerhut und Karneval in Rio oder was der Klischees mehr sind, findet sich bei Exground kaum eine Spur. Hier schaut man immer schon genauer hin. Was los ist in Brasilien, was die Kulturszene und insbesondere die unabhängigen Filmemacher bewegt, seit mit Jair Messias Bolsonaro ein rechtsgerichteter Präsident sein Amt angetreten hat, das reflektieren denn auch gleich zwei Podien zu den Perspektiven des Kinos einerseits (23. November, 16 Uhr im Murnau Filmtheater) und zum “Raubzug nach Amazonien” (20. November, 18 Uhr in der Krypta der Marktkirche). Und: die Filme. Zwar konnte Gabriela Amaral Almeidas “A Sombra do Pai” (Der Schatten des Vaters), der am 18. November um 20.15 noch einmal im Frankfurter Pupille-Kino zu sehen ist, mit seinem etwas wirren Genremix aus Melodram und Horror, Voodoo und Fantasy weniger mit der zu Herzen gehenden Geschichte als mit der Kameraarbeit Barbara Alvarez’ überzeugen. Doch unter den 23 brasilianischen Beiträgen im rund 200 Filme umfassenden Exground-Programm sind mit Karim Aïnouz’ in Cannes ausgezeichnetem Spielfilm “Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão” (18. November um 20 Uhr im Caligari sowie am 19. November um 20 Uhr im Darmstädter Rex-Kino), mit Tiago Mata Machados “Sleepwalkers” (19. November um 17.30 Uhr im Murnau Filmtheater) oder Martin Keßlers “Raubzug nach Amazonien”, der am Mittwoch das gleichnamige Panel eröffnet, noch eine Fülle vielversprechende Filme zu sehen. Eine Auswahl an Kurzfilmen (24. November, 12 Uhr im Caligari) sowie zwei begleitende Ausstellungen runden das Fokus-Programm ab. Während freilich die Fotoausstellung mit Arbeiten Anja Kesslers im Foyer des Murnau Filmtheaters nur bis Samstag zu sehen ist, mag man sich, will man möglichst wenig vom Filmprogramm verpassen, den Besuch der zweiten Schau des Festivals getrost noch ein paar Tage aufheben. Nur vergessen sollte man Jonathas de Andrades “O Peixe” (“Der Fisch”) möglichst nicht. Gehört die bis 5. Januar gezeigte Videoinstallation, mit der sich der Nassauische Kunstverein wieder an Exground beteiligt, doch fraglos zu den Höhepunkten des Begleitprogramms. Dabei passiert auf den ersten Blick nicht wirklich viel in Andrades auf körnigem 16-Millimeter-Material gedrehtem Film.
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Doch wie er den Betrachter mitnimmt in die scheinbar unberührte Natur und auf den großen Fluss; wie er Ronaldo, Menezes, Irmão und die anderen Fischer geduldig und mit spürbarem Respekt bei ihrer Jagd mit Netzen, Angelschnur oder Harpune auf ihrem Boot begleitet und zugleich mit jeder Einstellung das Genre des ethnographisch inspirierten Dokumentarfilms befragt einerseits, subtil die Erwartungshaltung des Zuschauers vorführt andererseits, das ist einfach wunderbar gemacht. Und auch nach dem Ende des 32. Exground Filmfests unbedingt noch einen Besuch wert. CHRISTOPH SCHÜTTE Das Exground Filmfest Wiesbaden findet noch bis 24. November im Kino Caligari, dem Murnau Filmtheater und der Krypta der Marktkirche statt. Weitere Spielstätten sind das Pupille-Kino und Orfeo’s Erben in Frankfurt sowie das Programmkino Rex in Darmstadt.