Aus: Ausgabe vom 23.10.2020, Seite 8 / Inland

Premiere bei Waldbesetzern

»Meine Filme haben oft mit Aktionen zu tun«

Langzeitdoku über Widerstand gegen Staudammprojekt in Brasilien: Waldvernichtung bedroht Indigene. Ein Gespräch mit Martin Keßler

Interview: Gitta Düperthal

EPA/FERNANDO BIZERRA JR

Proteste brasilianischer Indigener gegen die Zerstörung Amazoniens

Martin Keßler ist Dokumentarfilmer und betreibt die Produktionsfirma »Neue Wut«

Berliner Premiere von »Countdown am Xingu«: Freitag, 23.10., 19.30 Uhr, Kino Babylon

Für die Langzeitdokumentation »Countdown am Xingu – Kampf um die grüne Lunge der Welt«, der an diesem Freitag im Berliner Kino Babylon läuft, haben Sie in Brasilien den Widerstand gegen den Bau des Megastaudamms Belo Monte begleitet. Wie hat sich die Lage unter Jair Bolsonaro verschärft?

Zehn Jahre lang habe ich mit der Kamera dokumentiert, wie brutal der Bau des Staudamms gegen Brasiliens indigene Bevölkerung durchgesetzt und Tausende Hektar Urwald vernichtet wurden. Bolsonaro geht es nicht nur um »billigen Strom« für internationale Konzerne. Im gesamten Amazonasgebiet will er Rohstoffe wie Bauxit, Eisen, Zinn und Nickel ausbeuten, um mit Exporten mehr Geld anzuhäufen. Dafür sind ihm alle Mittel recht. Was unter den früheren Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff begann, zieht er härter durch. Polizei und Staatsanwaltsschaften schwächt er erheblich, um illegale Holzfäller zu fördern – sowie Großgrundbesitzer, die sich Flächen etwa für den Anbau von Monokulturen wie Soja aneignen wollen. Offiziell hat er sie aufgefordert: »Nehmt euch das Land der Indigenen«.

Seit zwei Jahrzehnten begleiten Sie mit Ihrer Filmproduktion »Neue Wut« Protestbewegungen. »Countdown am Xingu« zeigten Sie vorab bei Waldbesetzern im Dannenröder Forst, die dessen Rodung für den Ausbau der A 49 verhindern wollen. Wie haben sie reagiert?

Es gibt spannende Parallelen. Wie der Staudamm in Brasilien ist auch der Autobahnbau in Hessen ein veraltetes Projekt: Vor 40 Jahren geplant, soll es trotz drohender Klimakatastrophe durchgedrückt werden. Zuerst wurde der dem »Danni« nahe Herrenwald gerodet. Die Waldbesetzer wurden dort von Polizeihundertschaften gewaltsam verdrängt. »Diese Wirtschaft tötet«, resümieren Papst Franziskus und Bischof Erwin Kräutler, der sich seit Jahrzehnten für die Rechte der Indigenen einsetzt, in meinem Film. »Immer mehr Wachstum zerstört unseren Planeten«, so der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der nun mit den Zuschauern im Kino Babylon diskutieren wird. Es geht um einen Systemwechsel.

Sind die Kämpfe im »Danni« und am weit entfernten Xingu denn zu bündeln?

Es geht um ein weltweit aufgestelltes profitorientiertes Wirtschaftssystem, das gestoppt werden muss. Es braucht unsere Ressourcen auf, zerstört die Natur, die Grundlage der menschlichen Existenz. Die jungen Leute im »Danni« leben dort, verstehen sich ähnlich wie die indigene Bevölkerung am Amazonas als Hüter des Waldes. Die Bedingungen, unter denen sie für dessen Erhalt kämpfen, sind zwar auch repressiv, aber vergleichsweise besser als am Xingu, wo ein Menschenleben oft nichts mehr zählt.

Ihren Film, finanziert von linken, kirchlichen und gewerkschaftlichen Stiftungen, zeigen Sie in Kinos und Veranstaltungsräumen. Wie klappt das in Coronazeiten?

Alles ist schwerer zu organisieren als zuvor. Während des Lockdowns mussten wir die Arbeit beim Schnitt einstellen, weil man dabei zu dicht beieinander sitzt. Das Besondere an meinem Konzept ist aber, dass es viel Raum für spontane Entscheidungen lässt, wie etwa die Vorabpremiere im »Danni«. Wenn es um die Finanzierungsprobleme geht, spielen nicht nur die Coronabeschränkungen eine Rolle, sondern auch politische Gegebenheiten. Einige Stiftungen und NGOs würden meine Filme gern fördern, haben aber Bedenken, dass ihnen dann das Finanzamt die Gemeinnützigkeit entzieht.

Auch öffentlich-rechtliche Sender könnten eine solche Dokumentation finanzieren und ausstrahlen. Warum tun sie es nicht?

Ich habe lange für ARD und ZDF gearbeitet. Deren Ansprüche an Formate sind leider so festgelegt, dass unabhängiges Filmen damit schwer vereinbar ist. Deshalb habe ich entschieden, Filme in Kooperation mit Stiftungen und NGOs herauszubringen. Zwar habe ich kein so breites Publikum wie im Fernsehen, dafür sind Debatte und Erfahrungsaustausch intensiver. Meine Filme haben oft mit Aktionen zu tun, das schafft politisches Bewusstsein.