Dokumentarfilmer Martin Keßler “Wir beteiligen uns an der Zerstörung des Urwalds”

Veröffentlicht am 20.11.19 um 10:04 Uhr
Amazonas Brände
Im Sommer 2019 gab es heftige Brände im Amazonas-Gebiet. Erst im Herbst entspannte sich die Lage etwas. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

Seit zehn Jahren dokumentiert Martin Keßler die Zerstörung des Urwalds am Amazonas. Am Mittwoch ist sein aktueller Film in Wiesbaden zu sehen. Im Interview spricht er über gefährliche Dreharbeiten und seine Hoffnung, den Klimawandel doch noch aufzuhalten.
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Audio 03:27 Min. |15.11.19 |Brigitta Söling
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exground-Eröffnung

Bild © Dagmar Rittner
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Der Frankfurter Filmemacher Martin Keßler dreht seit mehr als 30 Jahren Dokumentationen über die Auswirkungen der Globalisierung. Seit rund zehn Jahren arbeitet er an einer Langzeitbeobachtung über den Konflikt um den drittgrößten Staudamm der Welt Belo Monte im brasilianischen Amazonas-Regenwald.

Der Damm war in den 1980er Jahren nach internationalen Protesten zunächst verhindert worden, seit 2016 geht er nun doch nach und nach in Betrieb. Aus Kesslers Langzeitbeobachtung sind inzwischen acht Filme hervorgegangen, der aktuelle ist am Mittwoch beim exground filmfest in Wiesbaden zu sehen.

hessenschau.de: Herr Keßler, Sie drehen seit Jahren im Amazonas-Gebiet. Wie gefährlich ist das inzwischen für Sie?
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Martin Keßler: Es ist schon immer gefährlich gewesen, dort zu drehen. Aber wir drehen im Zwei-Mann-Team mit Videokamera, wir fallen da nicht so auf. Bei den Indigenen drehen wir mit Zustimmung der dortigen Häuptlinge. Die Behörden wollen keine Öffentlichkeit. Wobei ich als deutscher Fernsehjournalist immer versuche, auch die Gegenseite zu hören.

In großer Gefahr sind aber die Aktivisten, die mit uns drehen. Immer wieder werden Bürgerrechtler ermordet. Die Sprecherin des lokalen Bürgerbündnisses gegen den Belo Monte-Staudamm zum Beispiel, Antonia Melo, die ist massiv gefährdet. Ein anderer Protagonist unseres Films ist der katholische Bischof Erwin Kräutler, Träger des alternativen Nobelpreises. Auch er engagiert sich seit Jahrzehnten gegen den Staudamm. Er wird Tag und Nacht von zwei Bodyguards bewacht. Für ihn und andere Aktivisten ist internationale Öffentlichkeit der beste Schutz.

hessenschau.de: Hat sich die Situation unter dem neuen rechtsgerichteten Präsidenten Bolsonaro verschärft?

Keßler: Das ist in unserem neuen Film auch zu sehen. Die Regierung Bolsonaro hat eine regelrechte Welle der Gewalt losgetreten. Menschen wie die großen Agrarbarone denken seitdem, sie können ungehindert das Land der Indigenen rauben. Sie schicken einfache Siedler vor, die den Wald niederbrennen. Später wird dort im großen Stil Viehzucht betrieben und Soja angebaut. Wir haben den Film Anfang des Jahres gedreht, als Bolsonaro ins Amt eingeführt wurde. Wir waren aber auch in den indigenen Gebieten und haben über die Übergriffe berichtet, die dort laufen. Dass Holzfäller in den Wald eindringen, Holz rauben und verkaufen. Der restliche Wald wird einfach angezündet.

Und es geht weiter. Es gibt ja auch riesige Bodenschatzvorkommen. Wir haben auch an dem Ort gedreht, an dem die größte Goldmine Brasiliens entstehen soll. Das ist Land, das bislang noch kleine Genossenschaften ausbeuten. Das will jetzt ein kanadischer Konzern zu einer Riesen-Mine machen. All das hat Bolsonaro angekündigt und langsam wird es Wirklichkeit.

hessenschau.de: Wie ist es für die Aktivisten, dass der Staudamm, den sie seit den 1980er Jahren bekämpft haben, nun doch gebaut wurde?

Keßler: Einige der Aktivsten kämpfen schon Jahrzehnte gegen den Staudamm. Sie sind zwar enttäuscht, dass sie den Belo Monte nicht verhindern konnten. Aber ihr Kampf war ein exemplarischer Kampf, der in Brasilien und international Aufmerksamkeit erregt hat. Sie haben Sand ins Getriebe des “Stauddammwahns“ gestreut und weitere Staudämme verhindert.

Bei Belo Monte soll bald die letzte Turbine in Betrieb gehen. Was man schon sieht ist, dass die Kritiker recht behalten haben: Die Dürren im Amazonas-Gebiet nehmen auch wegen des Klimawandels zu, gleichzeitig rechnet sich dieses Mega-Projekt wirtschaftlich schon gar nicht mehr. Es sollten 11.000 Megawatt Strom produziert werden, aber es sind sehr viel weniger.

hessenschu.de: Warum?

Keßler: Das Amazonas-Gebiet und der Amazonas selbst haben ein solch geringes Gefälle, dass für diese Riesen-Staudämme erst einmal riesige Flächen geflutet werden müssen. Bei Belo Monte ist es eine Fläche so groß wie der Bodensee. Die Fläche des Urwaldes, die für Straßen und andere Baumaßnahmen zerstört wurde, ist zehn Mal so hoch. Gleichzeitig schwankt der Zufluss zu dem Staudamm jahreszeitlich und durch die Dürren sehr stark, so dass er nicht genug Wasser hat.

Und das Amazonas-Gebiet wird weiter zerstört. Es ist ja ein riesiges Waldgebiet, von dem schon fast 20 Prozent weg sind. Da wird wie in einem Flickenteppich weiter gerodet.

hessenschau.de: Ein Staudamm, der nach 30 Jahren trotz internationaler Proteste doch gebaut wurde. Der Regenwald, der zunehmend zerstört wird. Sie beobachten die Entwicklung hautnah. Verlieren Sie da nicht die Hoffnung, dass der Klimawandel aufzuhalten ist?

Keßler: Wir haben vor ein paar Wochen in Rom gedreht, da hat der Papst eine große “Amazonas-Synode” abgehalten. Die hat gezeigt: Wir brauchen ganz neue Koalitionen, zum Beispiel aus einer eher als konservativ empfundenen Institution wie der katholischen Kirche, Jugendbewegungen wie Fridays for Future und kritischen Wissenschaftlern. Wir brauchen einen weltweiten Druck aus der Zivilgesellschaft, weil die etablierte Politik mit den Wirtschaftsverbänden so verzahnt ist, dass sie es gar nicht schafft, das jetzige Wirtschaftmodell in kurzer Zeit zu verändern. Doch das ist nötig.

Unsere Filme sehe ich einen Beitrag dazu, zu zeigen, was läuft im Amazonas-Gebiet. Denn es ist wie gesagt die Strategie des Baukonsortiums dort und auch der brasilianischen Regierung, möglichst wenige Informationen an die Öffentlichkeit kommen zu lassen.

hessenschau: Was können wir Europäer aus Ihrer Sicht tun?

Keßler: Ein Ansatzpunkt wäre das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Freihandelszone Mercosur (Argentinien, Urugay, Paraguay, Brasilien, d.Red.) und der EU. Es ist noch nicht ratifiziert. Darin geht es auch darum, dass noch mehr deutsche und europäische Autos nach Brasilien exportiert werden sollen und wir dafür noch mehr Soja und Rindfleisch importieren. Das heißt faktisch: Wir beteiligen uns an der Zerstörung des Urwalds. Denn die Rodungen nehmen zu, wenn noch mehr Rindfleisch und Soja produziert und exportiert wird.

Es ist Wahnsinn, dass wir auf der einen Seite sagen, wir müssen etwas tun gegen den Klimawandel, aber de facto dieses Wirtschaftsmodell, das wesentlich zum Klimawandel beiträgt, weiter forciert wird. Da muss man einfach die Zusammenhänge aufzeigen. Die Menschen hier bei uns müssen begreifen, dass ihr Wohlstandsmodell zur Umweltzerstörung beiträgt. Das Modell müssen wir ändern. Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen.

hessenschau.de: Was uns wieder zu der Frage nach der Hoffnung bringt.

Keßler: Wir haben ja jetzt schon einige heiße Sommer hinter uns. Ich glaube, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels beschleunigen werden. Dadurch wird der Druck, etwas zu verändern, zunehmen. Ich glaube, das kann letztendlich nur über die sozialen Bewegungen laufen, um die Leute zum Umdenken zu bewegen, zum Beispiel, keinen SUV-Geländewagen mehr zu kaufen oder das Auto öfter ganz stehen zu lassen.

hessenschau.de: Sie werden also weitermachen, auch weiter in Brasilien drehen?

Keßler: Das Problem ist natürlich auch immer die Finanzierung solcher Projekte. Das Langzeitprojekt habe ich nicht mit dem Fernsehen gemacht, denn dafür gibt es inzwischen zu wenig bis kein Geld mehr. Insgesamt sind die Möglichkeiten für Dokumentarfilmer im öffentlichen-rechtlichen Fernsehen geringer geworden. Ich arbeite deswegen vor allem mit Stiftungen zusammen.

Meine Hoffnung ist, dass trotzdem zumindest Teilöffentlichkeiten erhalten bleiben und dass engagierte Menschen weitermachen. Denn wenn dieses – ich nenne es mal Schmieröl der Gesellschaft – austrocknet, dann sind wir wirklich am Ende. In der Demokratie können Minderheiten ja immer zu Mehrheiten werden. Das haben wir auch schon in anderen Zusammenhängen erlebt. Allerdings wird der Veränderungsprozess heftig werden, wie man jetzt schon an der Spaltung der Gesellschaft in den USA oder auch in Brasilien merkt.
Weitere Informationen
“Raubzug nach Amazonien” beim Wiesbadener exground filmfest

20. November, 18 Uhr, Krypta der Marktkirche. Im Anschluss diskutiert Regisseur Martin Keßler mit Journalist Wolfgang Kunath und Völkerrechtsexperte Lothar Brock über den Film.
Ende der weiteren Informationen

Das Gespräch führte Sonja Fouraté

Sendung: hr-iNFO, 15.11.2019, 12:55 Uhr

Quelle: hessenschau.de/end
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